Doku-Rezension: „Allmacht Amazon“

Ist Amazon zu mächtig geworden?

H Lee
3 min readOct 11, 2020
Photo by Christian Wiediger on Unsplash

„Allmacht Amazon“ ist eine Dokumentation von Martin Herzog und Marko Rösseler. Die Reportage erschien im Mai 2019 bei der Deutschen Welle.

Der Film fängt mit einer fiktiven Handlung an. An einem Tag bekommt die Protagonistin ein Paket. Es ist von Amazon — aber sie bestellte nichts. Im Paket gibt es einen Schnuller, ein Babyfläschchen und Babykleidung. Sie ist schwanger und Amazon weiß das, bevor sie es selber feststellt.

Inhalt und Themen

Die Themen von „Allmacht Amazon“ drehen sich dabei um das Datenmonopol von Internetkonzernen, Datenschutzbedenken und die datengesteuerte Wirtschaft. Im Mittelpunkt steht Amazon. Der einstige Online-Buchhändler kann nun über 300 Millionen Kundinnen und Kunden beobachten und analysieren. Sein Geschäftsbetrieb erstreckt sich über mehrere Industriebereiche, u. a. Lebensmittel, Versicherungen, Cloud-Computing und Entertainment.

Die Reportage setzt sich hauptsächlich mit zwei Aspekten von Amazons Vorherrschaft auseinander. Der erste geht um den Markt. Mittels großer Datenmengen und maschineller Lernverfahren erkenne Amazon die Vorlieben und das Konsumverhalten von Menschen. Ungefähr 30 Prozent der Einkäufe ergäben sich aus den algorithmischen Empfehlungen, deren Verwendung die Marktdynamik durchgreifend geändert habe. Lokale Händler, die die Amazon erfundene Angebots- bzw. Lieferungsstrategie nicht verstehen, stärben aus. Das habe wiederum auf das wettbewerbliche Umfeld katastrophale Auswirkungen, indem Amazons Hegemonie die gewerbliche Vielfalt auf dem Markt zerstört.

Der zweite Aspekt betrifft das Bürgerrecht. Amazon speichere die Daten über wo man ist, worauf man klickt, welches Gerät man benutzt und so weiter. Derzeit verkauft Amazon größtenteils nur noch Produkte, aber sein Datenschatz könne auch für andere Zwecke zur Verfügung stehen, z. B. für Staatsführung und die Ausübung von Polizeigewalt. Das sei in den USA schon Wirklichkeit geworden, wo Amazons Gesichtserkennungssystem von der Polizei angenommen worden sei. Ein solcher Sachverhalt ähnle dem Alltag in einer albtraumhaften Überwachungsgesellschaft, in der eine zentrale Macht über uns ein ungleichgewichtes Wissen besäße.

Eigene Bewertung und Gedanken

Mein spontaner Eindruck von der Dokumentation „Allmacht Amazon“ war insgesamt positiv. Ich fand nicht nur das Thema Datenkapitalismus schon immer höchstinteressant, sondern auch die Reihe von den Interviewten in dieser Reportage beeindruckend. Besonders inspirierend waren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die über die ständig wechselnde Internetlandschaft theorisieren.

Nachdem ich die ganze Sendung zweimal sah, bin ich überzeugt, dass Amazon kein einfacher Marktakteur ist, sondern ein ökonomischer Überbau wurde. Innerhalb dieser Struktur legt Amazon die Regeln fest und alle anderen folgen. Wie Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance, betont, impliziere das, dass wir als Kundinnen und Kunden unseren freien Willen in Frage stellen sollten, wenn wir gedankenlos durch Einkaufsempfehlungen scrollen oder „In den Warenkorb“ anklicken.

Die EU-Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager bietet auch nahrhafte Denkanstöße: Wie finden wir denn ein Gleichgewicht zwischen Privatsphäre und Bequemlichkeit? Zwischen dem Verbraucherwohl durch Wettbewerb und dem Effizienzgewinn durch Konsolidierung? Mit Amazon stimmt irgendwas nicht, aber was sollen wir dagegen tun?

Fazit

Am Ende zeigt der Film die Protagonistin wieder. Sie ist diesmal mit ihrem Baby, das in dem Amazon betriebenen Gesundheitszentrum geboren ist und die mit dem Amazon-Logo versehenen Babyklamotten trägt. Von der Wiege bis zum Grab — der lebenslange Verbrauchskreislauf wird endgültig etabliert. Die Protagonistin und ihr Baby sehen in ihrer amazonisierten Welt jedoch glücklich aus.

Die Dokumentation ist mehr als gelungen. Trotz des warnenden Grundtons klagen die Interviewten Amazon aber nicht einseitig an. Es sei eine falsche Strategie, in Furcht vor einer Datenpanne nur datensparsam zu sein. Die Debatte gehe auch nicht darum, dass Amazon und die anderen US-amerikanischen Internetkonzerne in Europa groß werden. Die Sendung kombiniert in einem zusammenhängenden Bericht die verschiedenen Kritiken der Hegemonie Amazons.

Hierbei ist aber zu beachten, dass es für die Sendung keine Untertitel gibt, weswegen sie für Hörbehinderte und Nichtdeutschsprachige nicht leicht zugänglich ist. Außerdem mangelt es dem Film im Vergleich zu anderen Produktionen wie „The Great Hack“ an Spannung und Drama.

Ich verleihe dieser Dokumentation vier Sterne.

★★★★☆

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